IMI-Analyse 2024/06 (Update: 22.3.24)

Rüstung durch Sozialabbau

Der Haushalt 2024 ist übel – aber das richtig dicke Ende droht erst noch

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 2. Februar 2024

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Seit vielen Jahren singen rüstungs- und militärnahe Akteure vom selben Blatt: Eine chronische Unterfinanzierung habe zu einer völlig abgewirtschafteten Bundeswehr geführt, so die vermeintliche Binsenweisheit. Nützlich ist diese äußerst fragwürdige Behauptung vor allem deshalb, weil hierüber schon lange steigende Militärausgaben begründet werden.[1] Auch im Bundeshaushalt 2024 mussten fast alle Etats schmerzhafte Kürzungen hinnehmen, während der Militärhaushalt erneut Zuwächse verzeichnen konnte. Mit dieser Aufrüstung geht ein gigantisches Umverteilungsprojekt einher, wie der emeritierte Politikprofessor Christoph Butterwegge kritisiert: „Hochrüstung macht generell die Reichen reicher und die Armen zahlreicher. Weil dem Wohlfahrtsstaat fehlt, was ein Rüstungsstaat an Mehrkosten verschlingt, folgt der militärpolitischen Zeitenwende nun fast zwangsläufig auch eine sozialpolitische Zeitenwende. Zu befürchten ist daher auf längere Sicht eine fortdauernde Senkung des Lebensstandards der Bevölkerungsmehrheit, die zuletzt Reallohnverluste hinnehmen musste und durch steigende Mieten, Energiepreisexplosion und Inflation stark belastet wurde.“[2]

Und tatsächlich steht zu befürchten, dass bislang lediglich die Spitze des Eisbergs sichtbar wurde und das richtig dicke Ende erst noch bevorsteht. Mit einigem Stolz verkündete die Bundesregierung, in diesem Jahr würden erstmals Militärausgaben oberhalb von 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) erreicht, was allerdings nur durch die Entnahme hoher Beträge aus dem „Sondervermögen“ der Bundeswehr gelingt. Gleichzeitig haben die Ampel-Parteien wie auch die Union erklärt, die Ausgaben auch nach dem Ende des Sondervermögens (vermutlich 2027) mindestens auf diesem Niveau belassen zu wollen. Um dies zu erreichen, müsste spätestens dann aber nach der aktuellen Finanzplanung der Bundesregierung eine gigantische Deckungslücke von 25 bis 35 Mrd. Euro geschlossen werden, wofür massive haushaltsinterne Umschichtungen und drastische soziale Einschnitte nahezu unausweichlich wären.

Ein Sondervermögen für die kaputtgesparte Bundeswehr?

Schon häufig wurde darauf hingewiesen, dass die nicht enden wollende Litanei von der kaputtgesparten Bundeswehr jeder Grundlage entbehrt (siehe z.B. Ausdruck Nr. 113/Juni 2023). Tatsächlich stieg der Militärhaushalt von 32,5 Mr. Euro (2014) bis unmittelbar vor der Zeitenwende auf 50,4 Mrd. Euro (2022) selbst inflationsbereinigt um 40 Prozent an. Dennoch wurde diese Botschaft viele Jahre unermüdlich in die Köpfe der Bevölkerung hineingehämmert, was wohl nicht unerheblich dazu beitrug, dass Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Zeitenwende-Rede am 27. Februar 2022 das Sondervermögen der Bundeswehr von 100 Mrd. Euro vor allem in dieser Größenordnung so sang- und klanglos ausloben konnte.

Damit das Sondervermögen nicht mit der sogenannten Schuldenbremse kollidierte, war eine Grundgesetzänderung erforderlich, für die die Union mit ins Boot geholt wurde. Ergänzt wurde dann in Artikel 87a ein neuer Absatz, der folgendermaßen lautet: „Zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit kann der Bund ein Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro errichten. Auf die Kreditermächtigung sind Artikel 109 Absatz 3 und Artikel 115 Absatz 2 [Schuldenbremse] nicht anzuwenden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“

Das besagte „Gesetz zur Finanzierung der Bundeswehr und zur Errichtung eines ‚Sondervermögens Bundeswehr‘“ (BwFinSVermG) trat schließlich am 1. Juli 2022 in Kraft. Ihm wurde ein – zumindest in Ansätzen bereits lange vor dem russischen Angriff ausgearbeiteter[3] – Wirtschaftsplan angehängt, der allerdings nur äußerst grob Auskunft darüber gibt, welche Projekte aus dem Sondervermögen bezahlt werden sollen (und seither in jeweils aktualisierter Form im jährlichen Haushalt zu finden ist).[4]

Haushalt 2024: Aufrüstung und Sozialabbau

Im Jahr 2023 pirschte sich die Bundesregierung mit Militärausgaben von rund 1,6% des BIP allmählich an die 2%-Zielmarke heran. Dabei belief sich das offizielle Militärbudget zwar „nur“ auf 50,1 Mrd. Euro, es sollten aber nun auch erstmals relevante Gelder im Umfang von 8,4 Mrd. Euro aus dem Sondervermögen hinzukommen (real entnommen wurden schlussendlich 5,81 Mrd. Euro).[5] Außerdem müssen noch weitere nicht im Verteidigungshaushalt verortete militärrelevante Beträge nach NATO-Kriterien addiert werden. Die Bundesregierung schätzt diese zusätzlichen Ausgaben im Jahr 2023 auf 9,5 Mrd. Euro, woraus sich ein Gesamtbetrag von 65,4 Mrd. Euro ergibt – das ist zwar viel, allerdings auch noch weit unter den anvisierten 2% des BIP.[6]

Diese Hürde soll nun aber in diesem Jahr genommen werden – nach deutlichen Verzögerungen wurde der Haushalt schlussendlich im Februar 2024 verabschiedet. Für den offiziellen Militärhaushalt 2024 ist nun eine Summe von 51,95 Mrd. Euro vorgesehen – 1,85 Mrd. Euro mehr als im Vorjahr. Hinzu sollen voraussichtlich 19,8 Mrd. Euro aus dem Sondervermögen sowie 14,5 Mrd. Euro nach NATO-Kriterien aus anderen Haushalten kommen (womöglich auch vier Mrd. mehr).[7] Zusammen ergibt das in etwa 86 Mrd. Euro und damit grob 2 Prozent des BIP.[8]

Weil aber gleichzeitig eisern wieder an der sogenannten Schuldenbremse festgehalten werden soll, mussten schon im ersten Regierungsentwurf im Sommer letzten Jahres 16 Mrd. Euro eingespart werden. Als Folge wurde bei nahezu allen Ressorts kräftig der Rotstift angesetzt: „Der Kürzungshaushalt der Ampel ist eine soziale Katastrophe – und sollte eine Steilvorlage für alle Gegner der Sparpolitik sein. […] Bundesfreiwilligendienste minus 26 Prozent, Wohngeld minus 16 Prozent, Freie Jugendhilfe minus 19 Prozent, psychosoziale Zentren minus 60 Prozent, Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer minus 30 Prozent, Asylverfahrensberatung sowie besondere Rechtsberatung für queere und sonstige verwundbare Geflüchtete minus 50 Prozent. Die Liste ließe sich erschreckend lange fortsetzen.“[9] 

Nachdem das Bundesverfassungsgericht der Regierung in seinem Urteil im November 2023 darüber hinaus auch noch die Rechtswidrigkeit ihres Haushaltsentwurfs attestierte, musste noch einmal weiter gekürzt werden. Denn dadurch war es nicht mehr möglich, ungenutzte Kredite aus der Corona-Pandemie für den Klima- und Transformationsfonds (KTF) zu verwenden. Schlussendlich entstand hierdurch im Haushalt eine weitere Deckungslücke von zusätzlichen 17 Mrd. Euro, die über teils deutliche Abgabenerhöhungen, eine repressivere Handhabung des sogenannten Bürgergeldes, aber auch über weitere Kürzungen gestopft wurde.

Angesichts der hier im Raum stehenden Beträge sollte außerdem dringend auf zwei sprachliche Nebelkerzen hingewiesen werden: Erstens handelt es sich selbstverständlich nicht um ein „Sondervermögen“, sondern um Schulden, die spätestens ab 2031 zurückgezahlt werden müssen. Und zweitens verschleiert das Gerede von den 2 Prozent des BIP die tatsächlichen Dimensionen, um die es hier geht: Denn bei einem geplanten Gesamtbudget von 476,8 Mrd. Euro im Jahr 2024 sind das (unter der Annahme, das Sondervermögen wäre Teil dieses Betrages) über 18 Prozent des Haushaltes. Anders ausgedrückt: 2024 werden die Ministerien Bildung (21,5), Gesundheit (16,7), Entwicklung (11,2), Wirtschaft & Klima (11,1), Wohnen (6,7), Auswärtiges (6,7) und Umwelt (2,4) alle zusammen immer noch mehr als 13 Mrd. Euro weniger als das Militär erhalten!

Ungedeckte Schecks: Das dicke Ende kommt 2027ff

Schon nach dem ersten Regierungsentwurf im Sommer 2023 zeigte sich Verteidigungsminister Boris Pistorius überaus zufrieden mit dem Ergebnis: „Ich bin das einzige Haus, das einen nennenswerten Aufwuchs hat. Das einzige Ministerium, zwei kleinere haben noch minimale Aufwüchse, aber alle anderen mussten abliefern. […] Nochmal zur Erinnerung: Wir mussten in diesem Haushaltsjahr 16 Milliarden Euro einsparen, über alle Ressorts. Dann ist es schon bemerkenswert, wenn bei mir dann mehr kommt, als vorher da war und gleichzeitig, da mache ich kein Hehl draus, ist es zu wenig.“[10]

Auch die abschließende Einigung zum Haushalt 2024 dürfte die Stimmung des Verteidigungsministers kaum eingetrübt haben – im Gegenteil.[11] Vor allem wurde aber die Höhe der Verpflichtungsermächtigungen – ungedeckte Schecks für fixe Ausgabenposten in künftigen Haushalten – deutlich erhöht: „Neben einer Vielzahl kleinerer Änderungen und der Anpassung an Bedarfe sind zudem Verpflichtungsermächtigungen in Milliardenhöhe ausgebracht worden, etwa für die Beschaffung des Nachfolgers für den Transportpanzer Fuchs. Diese Verpflichtungsermächtigungen sind teilweise als Anschlussfinanzierung ab 2028 für Projekte aus dem Sondervermögen Bundeswehr gedacht. Die Verpflichtungsermächtigungen in dem Etat liegen nunmehr bei 49,04 Milliarden Euro. Das sind 7,22 Milliarden Euro mehr als im Regierungsentwurf.“[12]

Damit werden – mutmaßlich bewusst – Sachzwänge geschaffen, mit denen später die Beibehaltung eines hohen Ausgabenniveaus gerechtfertigt werden kann. Das erscheint Rüstungsfreunden mit Blick auf die Zeit, nachdem das Sondervermögen bis auf den letzten Cent aufgebraucht ist, auch dringend geboten. Schließlich sieht die im Juli 2023 von Finanzminister Christian Lindner vorgelegte Mittelfristige Finanzplanung für 2027 bislang einen Verteidigungshaushalt von 51,9 Mrd. Euro vor. Auch in Kombination mit Ausgaben anderer Haushalte nach NATO-Kriterien, die von der Bundeswehr-Universität für dieses Jahr auf rund 8 Mrd. Euro geschätzt werden, verfehlt die bisherige Planung das 2%-Ziel, das 2027 wohl bei rund 95 Mrd. Euro liegen dürfte, also deutlich.[13]

Allzu große Kopfschmerzen scheint dies dem Verteidigungsminister allerdings nicht zu bereiten. Der Grund für Pistorius‘ Gelassenheit dürfte darin liegen, dass er bereits im Oktober 2023 angab, verbindliche Zusagen für dauerhaft hohe Militärausgaben erhalten zu haben: „Deswegen ist es gut, dass wir jetzt gesagt haben, wir nehmen das Sondervermögen verstärkt mit rein. Aber Sie haben völlig recht, das wird 2027/2028 verausgabt sein. […] Und ab ´27/´28 werden die 2% abgebildet sein. Der Bundeskanzler wird nicht müde zu betonen erstens, die 2% werden sichergestellt sein; und, ja, die Bundeswehr, das BMVg kann mit diesen 2% auch jetzt schon planen, was wir übrigens auch müssen, denn wir reden ja nicht über Beschaffungen, die sich auf ein Jahr beziehen, sondern wir reden immer über Beschaffungen, die sich auf Monate erstrecken oder Jahre in vielen Fällen, also reden wir über fünf, sechs, acht, zehn Jahre, also brauchen wir Verpflichtungsermächtigungen im Haushalt und die müssen zugelassen werden und diese Zusage hab ich!“[14]

Schulden oder Sozialabbau?

Diese klaren Aussagen des Verteidigungsministers waren allein schon aus dem Grund erstaunlich, weil mit Fraktionschef Rolf Mützenich ein führender Sozialdemokrat zumindest zwischenzeitlich das 2%-Ziel offen in Frage stellte.[15] Hier positionierte sich dann Kanzler Olaf Scholz bei der Bundeswehrtagung im November 2023 noch einmal mehr als unmissverständlich: „Wir werden dauerhaft diese zwei Prozent gewährleisten, die ganzen 20er-Jahre über, die 30er-Jahre. Diese Zusage gilt.“[16] Unter Verweis auf diese Aussage geht Pistorius nun hausieren, um die Werbetrommel für drastische Erhöhungen des Verteidigungshaushaltes zu rühren. Ende Januar 2024 wurde er etwa in der Presse wie folgt zitiert: „Wir haben die Zusage des Kanzlers, dass wir bis in die 2030er-Jahre hinein mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung investieren. Also ausdrücklich auch dann, wenn das Sondervermögen ab 2027 aufgebraucht sein wird.“[17] 

Vor dem Hintergrund der Kräfteverhältnisse ruderten Mützenich und andere „linke“ Sozialdemorat*innen bereits vor einiger Zeit auf die Position zurück, Militärausgaben von 2% des BIP seien zwar erforderlich, sie sollten aber durch die Aussetzung der Schuldenbremse und die Auslobung eines zweiten Sondervermögens erreicht werden: „Durch die anhaltenden Krisen, nicht zuletzt durch den Überfall Russlands auf die Ukraine und den Konflikt im Nahen Osten, ergeben sich Herausforderungen, die wir nicht aus einem Normalhaushalt stemmen können, ohne dabei andere Aufgaben zu vernachlässigen“, sagte etwa die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken. Eine Krisenbewältigung auf Kosten der sozialen Infrastruktur sei aber mit der SPD nicht zu machen. „Ich bin davon überzeugt, dass wir erneut eine Ausnahme von der Schuldenbremsen-Regelung benötigen.“[18]

Was auf den ersten Blick womöglich als halbwegs vernünftig daherkommt, nämlich die Aussage, zugunsten der Militärausgaben dürfte es wenigstens keine Sozialkürzungen geben, könnte sich allerdings mit einiger Wahrscheinlichkeit als Bumerang erweisen. Denn faktisch haben Sozialdemokratie (und Grüne sowieso) nun ihren Frieden mit astronomischen Militärausgaben oberhalb von 2% des BIP gemacht – ihnen geht es jetzt nur noch um die Art der Finanzierung. Die Idee eines zweiten Sondervermögens ist aber allein deshalb schon problematisch, weil eine Aussetzung der Schuldenbremse erneut von der Zustimmung der Union abhängig wäre, worüber sich die Ampel auch völlig bewusst ist: „Ein Koalitionär sagt, es brauche eine Übereinkunft mit der Union über ein Sondervermögen II – sonst müssten ab 2027 rund 25 bis 30 Milliarden Euro woanders hergenommen werden, um über den regulären Bundeshaushalt das Nato-Ziel zu erfüllen, jährlich zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Rüstung und Verteidigung auszugeben.“[19]

Ob die Union aber einer von ihr bislang abgelehnten erneuten Aussetzung der Schuldenbremse zustimmen wird, ist zumindest fraglich, nachdem sich SPD und Grüne bereits unmissverständlich auf eine Einhaltung des 2%-Ziels festgelegt haben. Sie könnte stattdessen einfach die Auflage eines weiteren Sondervermögens blockieren, die anderen Parteien genüsslich an ihre – auch beim Gipfel in Vilnius im Juli 2023 gegenüber den NATO-Verbündeten – gegebenen Zusagen erinnern und darauf pochen, die Gelder innerhalb des Haushaltes umzuschichten.

Prioritäten setzen!

Mit beeindruckender Deutlichkeit offenbart ein Beitrag in der Europäischen Sicherheit & Technik, Deutschlands führendem militär- und rüstungsnahen Magazin, die Konsequenzen, einer haushaltsinternen Umschichtung in Richtung Militärausgaben: Es bedürfe einer „grundlegenden gesellschaftlichen Debatte über die nationalen Prioritäten“, gibt dort Redakteur Ole Henckel zum Besten. Am Ende stehe man aber vor einer simplen Wahl: „entweder die Kürzung sozialer Leistungen oder das Scheitern der Zeitenwende für die Bundeswehr.“ Weiter heißt es in dem Artikel: „30 Milliarden Euro mehr bräuchte es derzeit im Verteidigungshaushalt, damit dieser eigenständig das Zwei-Prozent-Ziel erfüllt. Der einzige Posten im Bundeshaushalt, der die Masse dieses zusätzlichen Bedarfes decken könnte, ist der des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Debatte wird sich also um die Streichung von Sozial-Ausgaben für Militär und Rüstung drehen. […] Der entscheidende Punkt und die damit verbundene Debatte wird allerdings erreicht werden, wenn das Sondervermögen verausgabt ist und man im Bundeshaushalt Prioritäten setzten [sic!] muss. Voraussichtlich wird dieser Zeitpunkt auch mit der kommenden Bundestagswahl zusammenfallen. Rüstung oder Soziales. Dann wird sich zeigen, wie nachhaltig die viel zitierte Zeitenwende ist.“[20]

Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius deutete bereits im Sommer 2023 an, man werde gegebenenfalls nicht um Kürzungen im Sozialhaushalt herumkommen, um den Bedarf seines Ministeriums zu befriedigen.[21] Ende Januar wurde er dazu erneut recht deutlich: Er verstehe ja diejenigen, „die nicht so viel Geld für Waffen und Munition ausgeben wollen“ – aber: „Am Ende geht es darum, dass wir in dieser Phase der Bedrohung neue Prioritäten setzen.“ Und weiter: „Natürlich müssen sich die Berechnungen nun auch in der Mittelfristigen Finanzplanung niederschlagen. Das heißt: Die Weichen für den Aufwuchs des Verteidigungsetats müssen noch in diesem Jahr gestellt werden.“[22]

Die in wenigen Monaten anstehende nächste Mittelfristige Finanzplanung wird bis 2028 reichen und muss erstmals Auskunft geben, woher die Gelder für die Umsetzung des 2%-Ziels kommen sollen. Wenig überraschend ist die Antwort, die Finanzminister Christian Lindner laut Spiegel im Januar 2024 im Verteidigungsausschuss gegeben haben soll: „Kürzlich war Finanzminister Lindner im Verteidigungsausschuss des Bundestags zu Gast. In der vertraulichen Sitzung verriet der Major der Reserve, woher er das fehlende Geld für Waffen und Ausrüstung der Bundeswehr gern nehmen würde: aus dem Sozialetat. Hier gebe es Einsparpotenziale, die Freiräume für Wehrausgaben eröffnen würden, sagte Lindner laut Teilnehmern.“[23]

Auch wenn diese Aussagen bei Vertreter*innen der beiden anderen Ampel-Parteien nicht unbedingt Begeisterungsstürme ausgelöst haben sollen, Grüne und Sozialdemokraten  haben sich – ob fahrlässig oder mutwillig ist schwer einzuschätzen – mittlerweile in eine Situation hineinmanövriert, in der sie kaum um massive Sozialkürzungen herumkommen (sofern sie bis dahin überhaupt noch auf der Regierungsbank sitzen). Es sei denn, sie stellen endlich die Prämisse in Frage, nämlich ob es uns wirklich sicherer macht, fast 20 Prozent des Bundeshaushaltes in das Militär zu stecken. In diesem Sinne fasste Christoph Butterwegge die anstehenden Entscheidungen folgendermaßen zusammen: „Wird das größte Aufrüstungsprogramm seit Gründung der Bundeswehr 2026/27 – wie geplant – in den regulären Staatshaushalt überführt, bleiben die soziale und die Klimagerechtigkeit womöglich ganz auf der Strecke. […] Trotz des Ukrainekrieges sind derartige Rüstungsanstrengungen von Nato-Staaten weder erforderlich noch zukunftsträchtig. Vielmehr sollte die Bundesregierung ihre Bemühungen um Frieden, Entspannung und Abrüstung intensivieren, statt den Einzelplan 14 noch weiter aufzublähen. Sinnvoller als das ‚Sondervermögen Bundeswehr‘ wäre die Bereitstellung ähnlich voluminöser Investitionsprogramme für den öffentlichen Wohnungsbau, den Ausbau von Bildungs- und Betreuungseinrichtungen, eine bessere Alterssicherung von Geringverdienern sowie die nötige Bekämpfung von Kinder- und Jugendarmut, Langzeitarbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit. Vornehmlich der sozialen, Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur gebührt viel mehr Aufmerksamkeit als in der Vergangenheit. Denn hier liegt der Schlüssel für eine humane, friedliche und demokratische Entwicklung unseres Landes. Hingegen schadet der Menschheit, der Umwelt und dem Klima nichts mehr als das Militär.“[24]

Anmerkungen


[1] Ob die Bundeswehr im Übrigen tatsächlich so „blank“ dasteht, wie dies Heeresinspekteur Alfons Mais und viele rüstungsnahe Akteure betonen, ist zwar nicht Gegenstand dieses Artikels, darf aber dennoch zumindest bezweifelt werden. Einiges spricht dafür, dass dies zumindest übertrieben ist, um immer mehr Gelder für Bundeswehr und Rüstungsindustrie herauszuleiern. Siehe dazu zum Beispiel Bayer, Markus u.a.: Verschwendet oder effektiv eingesetzt? Militärausgaben in Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich im Vergleich, Greenpeace, November 2023.

[2] Butterwegge, Christoph: „Fortschrittskoalition“ ohne Fortschritt, Rotary Magazin, 22.12.2023.

[3] Tatsächlich lagen spätestens im Oktober 2021 Pläne für ein Bundeswehr-Sondervermögen im Umfang von 102 Mrd. Euro vor. Details wurden aber zur Verschlusssache erklärt und sind öffentlich nicht bekannt. Siehe Wagner, Jürgen: Im Rüstungswahn. Deutschlands Zeitenwende zu Aufrüstung und Militarisierung, Köln 2022, S. 145.

[4] Siehe für Details zu allen Projekten, die aus dem Sondervermögen bezahlt werden Kirsch, Martin/Wagner, Jürgen: Das Sondervermögen der Bundeswehr: Finanzen – Projekte – Kritik: Ein antimilitaristisches „living document“, IMI-Mitteilung, 15.11.2023.

[5] Hasenkamp, Ellen: Bundesregierung verfehlt Ziel für Sondervermögen, Schwäbisches Tagblatt, 24.1.2024.

[6] Seibel, Karsten: Von wegen nur neue Bundeswehr-Ausrüstung – Wie Deutschland seine Nato-Quote schönt, Die Welt, 8.8.2023.

[7] Die geschätzte Höhe der Ausgaben nach NATO-Kriterien für 2024 wurde von Verteidigungsstaatssekretär Thomas Hitschler mit 14,5 Mrd. Euro angegeben. Erst danach wurden noch einmal weitere 4 Mrd. Euro für Waffenlieferungen an die Ukraine angekündigt und es ist unklar, ob dieser Betrag in Hitschlers Angaben bereits berücksichtigt wurde. Siehe Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Thomas Hitschler vom 26. 7.2023, Drucksache 20/7889. Der deutliche Anstieg der NATO-Kriterien soll wohl unter anderem dadurch erreicht werden, dass künftig auch Zinszahlungen mit hineingerechnet werden (Seibel 2023 a.a.O.).

[8] „Berechnet wird die Nato-Quote auf der Grundlage der Wirtschaftsleistung. Für das Jahr 2024 erwartet die Bundesregierung laut Herbstprojektion des Wirtschaftsministeriums ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 4309,5 Milliarden Euro.“ (Baerbock bestätigt Pläne für massiven Ausbau der Ukrainehilfe, Spiegel Online, 13.11.2023).

[9] Werner, Alban: Sparoffensive ohne Gegenspieler, Jacobin, 21.9.2023.

[10] „Die Israelis verhalten sich sehr umsichtig“ (Tag 611 mit Boris Pistorius), Streitkräfte und Strategien, 27.10.2023.

[11] Lediglich der gegenüber dem ersten Regierungsentwurf neue Transfer von 500 Mio. Euro für den Ersatz von an die Ukraine abgegebenem Kriegsmaterial aus dem Allgemeinen Haushalt ins Sondervermögen wurde kritisiert.

[12] Haushalt 2024: Plus im Verteidigungsetat, Heute im Bundestag 42/2024.

[13] Carstens, Peter: Bei der Bundeswehr wird schon wieder gekürzt, FAZ, 22.8.2023.

[14] Streitkräfte und Strategien, 27.10.2023 a.a.O.

[15] Auf der Suche nach den zwei Prozent, Süddeutsche Zeitung, 16.7.2023.

[16] Jungholdt, Thorsten: Bei einem Satz des Kanzlers wird mancher im Publikum hellhörig, Die Welt, 10.11.2023.

[17] Gebauer, Matthias / Kormbaki, Marina: Was nach dem Bundeswehr-Sondervermögen kommt? Die Ampel hat keinen Plan, Spiegel Online, 26.1.2024.

[18] SPD fordert Aussetzen der Schuldenbremse, Rheinische Post, 30.10.2023.

[19] Ismar, Georg: Der Reservekanzler, Süddeutsche Zeitung, 18.1.2024. Besonders dreist griff Spiegel Online die Propaganda aus dem Verteidigungsministerium auf. Das Medium übernahm völlig unkritisch die Sichtweise der – wohl nicht ganz zufällig für den Tag der Bundestagsdebatte zum Verteidigungshaushalt durchgestochenen – internen Finanzbedarfsanalyse der Bundeswehr. Darin wurde die Deckungslücke im Jahr 2028 gar auf satte 56 Mrd. Euro beziffert. Dieser astronomische Betrag wurde errechnet, indem der Finanzbedarf der Truppe mit 107,8 Mrd. Euro gleich noch einmal 10 Mrd. Euro über den in dem Artikel auf 97 Mrd. Euro angesetzt wurde, auf die 2028 in dem Artikel 2% des BIP geschätzt werden. Weil die Finanzplanung für 2027 bislang den Betrag von 51,9 Mrd. Euro vorsähe, ergäbe sich das besagte Loch von 56 Mrd. Euro, so die Berechnung, in die aber zum Beispiel kein Cent nach NATO-Kriterien mit einfließt, was aber anschließend zahlreiche Medien nicht davon abhielt, diese Zahlen ebenso unkritisch zu übernehmen (Gebauer, Matthias / Kormbaki, Marina: Bundeswehr steuert auf 56-Milliarden-Euro-Loch zu, Spiegel Online, 31.1.2024)

[20] Henckel, Ole: Die neue Nationale Sicherheitsstrategie – Vorbote einer harten Debatte, Europäische Sicherheit & Technik, 4.7.2023.

[21] Auf der Suche nach den zwei Prozent, Süddeutsche Zeitung, 16.7.2023.

[22] Gebauer/Kormbaki 2024 a.a.O.

[23] Ebd.

[24] Butterwegge 2023 a.a.O.